Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam

Vea Kaiser

... ein weißes Kuvert, in dem in fein säuberlichen Blockbuchstaben auf einem karierten Zettel geschrieben stand: Wenn ihr mich sabotiert, dann sabotier ich euch.

Damit legt die Hauptfigur des Romans, Johannes A. Irrwein, im Alter von zwölf Jahren seinen Standpunkt fest. Seine Eltern haben es nicht leicht. Aber zurück zum Anfang der Geschichte: zum Holzschnitzer Alois Gerlitzen ins Jahr 1959. Erst ein Unfall bei den Holzarbeiten, danach ein Fischbandwurm im eigenen Körper und schließlich die Geburt von Ilse Gerlitzen.

Überfordert von den Ereignissen zieht sich Johannes an den ruhigsten Ort in St. Peter am Anger, der Bibliotheksraum im Gemeindeamt, zurück. In alten Lehrbüchern entdeckt er dort die faszinierende Welt der Parasiten.

Ereignisreiche Jahre später sitzt er mit seinem Assistenten wieder in St. Peter und erforscht noch immer diverse Würmer. Er, der Doktor Opa und sein Enkel Johannes A. Irrwein. Die einfache und raue Welt des Bergdorfs und als Kontrast die Welt der Wissenschaft im Hause des Großvaters prägen den kleinen Jungen, dessen Entwicklung und dessen Kämpfen mit den Dorfbräuchen und seinen Eltern die Geschichte ab nun folgt.

489 Seiten umfasst das Buch und trotzdem wünscht man sich immer wieder einige Seiten dazu. Nicht das etwas fehlt, der Erzählstrang folgt der Familie über drei Generationen. Trotzdem trauert man als Leser all den nicht erzählten Geschichten nach. Allein die Geschichte des Großvaters wird in wenigen Zügen so lebendig das man gerne weiter in seine Welt eintauchen und ihm folgen möchte. Genauso ist es bei den anderen Hauptprotagonisten. Ursprünglich waren es laut Angaben der Autorin 4.000 Seiten und diese Schreiblust lässt uns nach dem Erscheinen ihres Erstlings auf viele weitere Bücher hoffen. Aber lassen wird die Vorfreude beiseite, in dem aktuellen Buch gibt es genug zu genießen. Bleiben wir also noch ein wenig bei Johannes A. Irrwein: einem Zufall (oder war es doch die göttliche Fügung) hat er es zu verdanken, dass er dem zweifelhaftem Dorfidyll entkommt. Mit einem Stipendium schafft er es in das Klostergymnasium. Dort riecht es nach „ … sauberem, unbenutztem Papier.“„ ein Duft […] von dem er (Johannes) stets gedacht hatte, dass ihn ein erster Schultag haben müsste.“.

Nun scheinbar endlich in seiner Welt angekommen gewinnt der kleine Johannes mehr und mehr an Selbstvertrauen und entdeckt seine eigenen Talente und Fähigkeiten die ihn aber nicht nur vom Dorf und seiner Familie immer weiter entfernen. Und hier geht die Geschichte erst so richtig los! Vea Kaiser stellt jedem Kapitel ein Notizbucheintrag über die Geschichte des Bergdorfs voran. Verfasser dieser Notizen ist kein anderer als der selbsternannte Histograph Johannes A. Irrwein, Nachfolger des Herodot von Halikarnassos, Enkel von Doktor Johannes Gerlitzen.

Denn wie schon der Großvater erkannte das das Aufschreiben nicht nur der Erinnerung dient, sondern weil „die Dinge einfacher wurden, wenn man sie zu Papier brachte, als könnte man durchs Aufschreiben die Welt ordnen.“ Und wer so hin und her geschleudert wird zwischen Hochsprache und Dialekt, zwischen der Welt des Wissens und der stumpfen Realität eines abgekapselten Bergdorfs mit seinem immer gleichen Rhythmus, wie der junge Johannes A. der braucht dringen Hilfe diesen Irrsinn, dem sich schließlich auch noch die Liebe anschließt, zu ordnen.

Eine wunderbare Geschichte und eine Erzählerin die immer den richtigen Ton findet.

„Blasmusikpop“ gibt es übrigens auch als 16 stündiges MP3-CD Höhrbuch

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam

Vea Kaiser

Verlag: Kiepenheuer & Witsch

gebunden, 491 Seiten

ISBN 3-462-04464-8

€ 20,60

Hörbuch

ISBN 3-9902207-8-0

€ 34,49