Der Mond flieht (Eine Sommergeschichte)

Max Rinnekangas

„ … Alles wäre genau gleich und gleichzeitig ganz anders.“

Was immer man sich unter einer Sommergeschichte vorstellt. „Der Mond flieht“ hat es. Mit einer poetischen Leichtigkeit treibt die Erzählung des an der Grenze zur Pubertät stehenden Lauris durch den finnischen Sommer der frühen sechziger Jahre.

„ … Alles wäre genau gleich und gleichzeitig ganz anders. Und weißt du, warum? Weil die Wirklichkeit – die Gedanken, das Wissen, die Begriffe, die wir von uns haben - nichts anderes ist als die Summe unserer Vorstellungen. Mit ihnen konstruieren wir uns die anderen so wie wir wollen, selbstsüchtig, ohne Wahlmöglichkeit, und der erlebte Alltag ändert nichts …“.

Was immer man sich unter einer Sommergeschichte vorstellt, es zerbricht in einem einzigen Moment.

Freude, Trauer und Sühne sind die drei Teile die die Erzählung einteilen. Das Geschwisterpaar Sonja und Leo und ihr Cousin Lauri sind die drei Hauptfiguren der Erzählung. Gemeinsam haben sie am Latvala Hof, auf dem Sonja und Leo lebten, bereits mehrere Sommer gemeinsam verbracht. Dieses Mal aber war vom ersten Tag an klar, dass die kommende Zeit eine neue Welt beinhalten würde.

Zentrum dieser Welt ist die fantasievolle und zügellose Sonja. Die beiden Jungs umkreisen sie wie Planeten. Ihre Verrücktheiten und ihre Stärke übertrumpften alles was sich die beiden jüngeren Buben je vorzustellen wagten. Alle anderen waren von dieser Welt ausgeschlossen. Allen voran die gläubigen Eltern von Sonja und Leo. Sie kümmern sich um den Hof und die Gebete. Die Kinder, die fest in dieser Welt, in diesem Wertesystem verankert sind, sind ein Teil dieser Arbeit und der Gebete. Umso weiter ausschweifend agierten sie jedoch in ihrer Welt. Eine andere Wahl haben sie aber vielleicht aber gar nicht. „Denn das Leben bietet keinen von uns zwei Möglichkeiten; stets tritt unser authentischer Charakter zutage.“ erzählt der ehemalige Fremdenlegionär Mooses in einem Selbstgespräch bei dem er ausnahmsweise einmal nicht allein war. Er, der Verstoßene, der Wiederheimgekehrte. Er der Irre, der Großvater von Lauri ist neben der strahlenden Sonja wohl die wichtigste Figur in den Erinnerungen Lauris.

Freude, Trauer und Sühne: die Frage ist ab welchen Punkt der Erzählung die Welten ins Wanken geraten. Wann wird aus dem Träumen und Spielen, aus dem Lachen und Singen ein ernstes Schweigen? An welchem Punkt kollidieren die Welten und schließlich, wann zerbrechen sie. Wann werden sie gegen jeden Willen wieder eins plus ein paar Erinnerungsscherben.

Wer einen Verstoß gegen das Gesetzt beobachten ist verpflichtet es zu melden. Wer dies unterlässt macht sich strafbar. Freilich gilt dies nicht wenn wir die Straftat als Leser verfolgen und die Tat auf den Seiten eines Buches stattfindet. Trotzdem ergibt sich daraus die Frage wie man agieren würde, wäre man eine Figur in den Zeilen und Seiten. Könnten wir diesen ersten Moment des Untergangs ausmachen und eine Schuldzuweisung aussprechen. Könnten wir unterscheiden in welcher Welt welche Gesetzte und Werte gültig sind und wie frei Freiheit sein darf? Könnten wir entscheiden wie weit alles gehen soll und darf?

„Dummkopf! Schicksal ist Schicksal“, erklärte Sonja strickt. Mooses ist vollkommen verrückt, darum ist das Schicksal mit ihm auf du und du.“ …
„Schon, aber woher weiß man, dass jemand vollkommen verrückt ist?“, wand Leo ein „Das Schicksal weiß das jedenfalls nicht.“
„Gerade das Schicksal ist es, das Menschen zu Verrückten macht“, erwiderte Sonja.

Buchcover

Der Mond flieht
Rax Rinnekangas
Graf Verlag
gebunden, 160 Seiten
€ 17,50