Cox oder Der Lauf der Zeit

Christoph Ransmayr

„Für immer bleiben im Schutz seiner geschlossenen Augen, hinter einem vom eigenen Blut durchpulsten Vorhang, hinter dem alles denkbar und träumbar wurde, ohne vom Anblick der Wirklichkeit widerlegt zu werden.“

Genauso wie der Hauptfigur Alister Cox in dem neuen Buch von Christoph Ransmayr ergeht es dem Leser mit der Literatur Ransmayr‘s. Man möchte die Augen hinter dem Vorhang der Seiten seiner Bücher behalten und in der von ihm geschaffenen Sprachwunderwelt verweilen. Ja, ich mache von Anfang an kein Hehl daraus: ich bin ein Bewunderer der Werke des oberösterreichischen Autors. Ja, für mich gehört er zu den bedeutendsten Sprachkünstler überhaupt.

Aber zurück zum Buch: Alister Cox, Uhren- und Automatenbauer aus London und alleiniger Herr über Cox & Co nimmt das Angebot von Qiánlóng – Kaiser von China, Himmelsssohn, Herr über die Zeit und Uhrenliebhaber – an und reist mit drei seiner besten Mitarbeiter nach China um dort seine Kunst unter Beweis zu stellen und die Wünsche des Kaisers zu verwirklichen. Zurück bleibt seine seit dem Verlust der gemeinsamen Tochter Abigal verstummte Ehefrau Faye. Alister’s Abreise ist also nicht nur dem Auftrag geschuldet sondern auch eine Flucht. Es liegt ihr aber auch die Hoffnung inne bei der Rückkehr eine wieder sprechende und wieder lachende Frau vorzufinden. Bis dahin aber steht den vier Männern eine große Reise ins Ungewisse bevor.

Am Ende des Romans, als informativer Anhang, lässt es sich Ransmayr nicht nehmen noch einmal explizit darauf hinzuweisen, dass es sich bei der von ihm vorgelegten Geschichte, trotz aller historischer Parallelen zur Wirklichkeit, um einen Roman, eine fiktive Geschichte handelt. Und tatsächlich neigt man die Bilder, die Geschichten und deren Zusammenhänge als real anzusehen. Zu eindringlich, zu einnehmend agiert die Sprache um sich dessen zu verschließen.

Cox oder Der Lauf der Zeit ist ein prachtvoll erzähltes Werk über die Zeit, deren Verlauf alle und alles verbindet. Von den Lebenden hinein in die Vergangenheit bis in die Gräber der Toten und auf der anderen Seite der Skala in die Zukunft der nächsten und nächsten und übernächsten Generationen. Die Aufgabe der Uhrenbauer ist es diese Verknüpfungen aufzuzeigen, die Zeit in all ihrer Regel- und Unregelmäßigkeit sichtbar zu machen. Ein gefährliches Unterfangen für Cox und seine Mannschaft. Den auch wenn sich der über alles erhabene Kaiser seinen Gästen gegenüber immer wieder sehr menschlich gibt, viel zu menschlich wie sich viele seines darüber erstaunten und ebenso empörten Gefolges unausgesprochen einig sind, sein Zorn, ja selbst eine kleine Unzufriedenheit seinerseits kann für jeden seiner Untertanen den Tod bedeuten. Er ist der Herr der zehntausend Jahre, er ist allmächtig, er ist die Zeit selbst und dennoch, ab und an kann es zu einem Moment kommen der „… keiner Zeit mehr angehörte, sondern ohne Anfang und Ende war, um vieles kürzer als das Aufleuchten eines Meteoriten und doch von der Überfülle der Ewigkeit: von keiner Uhr zu messen...“.

Siebzehn Kapitel, von denen jedes für sich alleine wirkt, verknüpft Christoph Ransmayr in seinem Buch zu einer Geschichte über die Zeit, eine Geschichte über eine längst vergangene und zugleich nie gewesene Zeit und schafft es dabei zeitlos zu bleiben. Ein wunderbares Stück Literatur!

Buchcover

Cox oder Der Lauf der Zeit
Christoph Ransmayr
Roman – S. Fischer
gebunden, 304 Seiten
ISBN 978-3-10-082951-1
€ 22,70